Der kontraintuitive Trubel um Technologieaktien

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Henri Hagen, 20.09.2020

  • Aktienindizes aufgrund von Momentum und inflationärer Geldpolitik stark in Bewertung gestiegen
  • Mit der Masse investieren immer fragwürdig – vor allem bei der jetzigen Nachfrage
  • Fundamentalanalyse kann einen vor Fehltritten bewahren

Die Corona Pandemie hat zweifelsohne für einen Umsatzeinbruch der Wirtschaft weltweit gesorgt. Der verringerte Konsum sowie teilweise stockende Produktion sorgen dafür, dass Firmen rote Zahlen schreiben. Die Prognose des DIW Berlin[1] verkündet einen Einbruch des realen BIPs in Deutschland um 10%, von +0,6% in 2019 auf -9,4% 2020.

Nichtsdestotrotz reicht ein kurzer Blick auf die Kapitalmärkte um zu erkennen, dass die Indizes Weltweit nahezu unverändert im Vergleich zu Februar sind – wenn nicht besser. So lag der S&P500[2], welcher die 500 größten Aktienunternehmen der USA erfasst, Anfang des Jahres noch bei rund 3400 Punkten. Die im August erreichten 3600 Punkte weisen kein Zeichen einer globalen Pandemie auf. Naheliegend ist also die Frage, warum die Bewertung von Aktien so sehr von der Entwicklung in der Realwirtschaft abweicht. Dazu gibt es eine Reihe von Ursachen.

Zunächst einmal bestehen Indizes wie der S&P500 zu großen Teilen aus Aktien der Technologiebranche, welche gemeinhin als Gewinner der Krise gilt. So machen die fünf größten Unternehmen Apple, Microsoft, Amazon, Google und Facebook rund 4,85 Billionen US-Dollar der 26,7 Billionen aus[3]. Das sind gut 20% . Die Gewinne einiger wenigen Unternehmen dämpfen also die Verluste vieler hunderter. Dies führt von sich aus aber noch nicht zu einer Entkopplung der Märkte von der Realwirtschaft. Maßgeblich dafür sind zwei weitere Entwicklungen: die expansive Geldpolitik der Zentralbanken rund um die Welt sowie das dadurch befeuerte Momentum Investing an den Märkten.

Um die von Umsatzeinbrüchen geschwächten Unternehmen am Leben zu halten und einen deflationären Teufelskreis[4] zu vermeiden, verfolgen die Zentralbanken sogenannte Quantitative Easing- oder Anleihenkaufprogramme. Dabei werden private und öffentliche Wertpapiere, wie Staatsanleihen, von den Geschäftsbanken durch die Zentralbank aufgekauft. So gelangt Geld an die Banken und durch Kredite auch an Unternehmen und Bürger. Umgangssprachlich nennt man diesen Vorgang auch Geld drucken[5].

Durch die Erhöhung der Geldmenge bleibt allerdings auch viel Liquidität bei Banken und Unternehmen hängen, welche nur eine beschränkte Anzahl an Handlungsoptionen haben. Auch Individuen – also Kleinanleger – sind davon betroffen. Denn: Geld ist keine risikofreie Anlageklasse. Auch wenn ein gewisses Grundmaß an Liquidität Grundvoraussetzung für eine funktionierende Wirtschaft ist, muss jedes Finanzmittel unter dem Gesichtspunkt der Opportunitätskosten betrachtet werden. Im Fall von Bargeld ist mit einer Inflation von 1-2% immer auch ein Wertverlust verbunden[6]. Vor allem für Sparer kann ein Sinken der Kaufkraft schnell zum Verhängnis werden.

Die Konsequenz ist eine zunehmende Beteiligung von institutionellen und Privatanlegern an den Kapitalmärkten, wo eine deutlich höhere Rendite von 7-9% jährlich lockt. Das Mitmischen an den weltweiten Aktienmärkten ist im laufe des letzten Jahrzehnts signifikant einfacher geworden. Während zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 2007/2008 Kleinanleger noch vermehrt von ihren Bankern und Brokern übers Kreuz gelegt wurden, können diese heute ganz eigenständig Fehlentscheidungen treffen. Fintechs[7] ermöglichen es jedermann, unabhängig vom Wissensstand, zur 0%-Orderprovision im Minutentakt Aktien, Teilaktien[8] und riskante Hebelprodukte[9] zu handeln.

Dieser Spuk hat mit dem Suizid eines 20-Jährigen US-Amerikaners einen vermeidbaren Tiefpunkt erreicht, der die Risiken der Märkte aufzeigen sollte. Der unerfahrene Junganleger hat bei Robinhood, einem amerikanischen Fintech, hochkomplexe Optionsscheine gehandelt und sich nach einem Fehltritt, der ihm ein Kontominus von 730.000 USD angezeigt hat, das Leben genommen[10]. Die Frage nach Regulierung ist ein anderes Thema, aber der Fall lässt einen wundern, warum es einem unerfahrenen 20-jährigen möglich war, sich so zu verschulden.

Die Flut des Kapitals an den Märkten resultiert in der beunruhigenden Entkopplung von Fundamentals[11] der Firmen und deren Aktienpreisen, befeuert allein durch Momentum[12] und die Fear Of Missiong Out[13] (kurz. FOMO). 

Ein aktuelles Beispiel hierfür ist das IPO[14] von Snowflake Inc., einem Data-Warehousing und Cloud ComputingUnicorn[15] am 16. September 2020. Der Preise der Firma ist innerhalb eines Tages von $120 initial offering price per share auf $270 hochgeschossen[16], bevor er sich am Ende der Woche auf $240 normalisiert hat. Das Spannende hier ist, dass dem Preis der Tech Aktie anscheinend keine Fundamentalwerte zugrunde liegen. Statt der gezielten Analyse des Managements, der Marktmechanismen und der realistischen Bewertung anhand zukünftiger Cashflows[17] zahlt man hier offensichtlich für den Goodwill, oder umgangssprachlich die Hoffnung. Zum direkten Vergleich zu Snowflake eignet sich der 110 Jahre alte Konzern IBM[18]. Dessen (nicht wachsende) Cloud Warehousing alternative zu Snowflake erwartet für dieses Jahr einen Umsatz von $74 Milliarden, das ist 120 mal mehr als Snowflake. Nichtsdestotrotz hatte Snowflake zeitweilen eine Marktkapitalisierung[19] über der von ganz IBM.

Momentum Investing wird weiters dadurch befeuert, dass viele Fonds und ETFs ihr Kapital auch auf die eine oder andere Art investieren müssen. Vor allem bei aktiv gemanagten Fonds[20] ist die Denkweise eher linear: wenn es bergauf geht wird gekauft, um sich nicht vorwerfen zu lassen etwaige Chancen verpasst zu haben. Wenn es bergab geht wird schnell verkauft, denn man hat ja den Verlust minimiert. Wenn alle Fonds oder Aktien kaufen beziehungsweise verkaufen, bedeutet dies allein aufgrund des Angebots und der Nachfrage, dass die Preise sich überproportional verändern. Zugrunde liegt hier keine Verknüpfung mit Erfolgen der Firma in der Realwirtschaft.

Abschließen möchte ich mit den Worten von Warren Buffet: “Buy on Fear, Sell on Greed”. Dieser rät sinngemäß zu antizyklischem Handeln – der Gegenschritt zur Masse kann sich als lukrativ erweisen. Der Witz – Buffet hat als Insider bereits vor dem IPO von Snowflake für $120 pro Aktie Wertpapiere im Wert von $735 Millionen gekauft[21], die jetzt durch Momentum bereits 1,5 Milliarden wert sind. Es zeigt sich: es lohnt sich, schneller als die anderen zu sein, und den Trend zu setzten statt ihm blind nachzulaufen.

Ich hoffe euch hat meine Lageeinschätzung zur Wirtschaft, den Kapitalmärkten und Technologieaktien gefallen. Meldet euch gerne bei mir für Fragen und Diskussion.


[1] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74644/umfrage/prognose-zur-entwicklung-des-bip-in-deutschland/

[2] https://finance.yahoo.com/quote/%5EGSPC?p=^GSPC&.tsrc=fin-srch

[3] https://edition.cnn.com/2020/02/10/investing/sp-500-tech-stocks/index.html

[4] Weniger Umsatz > Entlassung von Mitarbeitern > Arbeitslose kaufen weniger > weniger Umsatz > etc.

[5] Durch die Geldentwertung ist es für Anleger naheliegend, das Geld zu verkonsumieren. Sinngemäß könnte beispielsweise für 500€ noch einen Fernseher bekommt, während dieser in einem Jahr bereits 600€ kosten könnte. Damit wollen die Zentralbanken die Wirtschaft befeuern

[6] Eine Erhöhung der Geldmenge führt aufgrund des Angebot-Nachfrage Mechanismus dazu, dass Geld weniger Wert wird. So kostet ein Schokohase Beispielsweise 2€ statt 1€, wenn jeder mehr verdient. Der Marktpreis wird erhöht, weil die Leute sich auch mehr leisten können. Idealerweise wird das durch höhere Gehälter ausgeglichen

[7] Fintech steht hier für Finanztechnologie Unternehmen, oftmals Startups, welche durch technologisch weiterentwickelte Finanzinnovationen die Wirtschaft und Märkte revolutionieren

[8] Teilaktien sind Anteile einer Aktie, die mit anderen Anlegern beim selben Broker gehalten werden. So könnten sich zum Beispiel drei Investoren eine BMW-Aktie um 60€ Teilen, wobei jeder nur 20€ zahlt und ihm dafür auch nur 1/3 der Gewinne und Dividendenzahlungen zustehen

[9] Hebelprodukte sind Finanzderivate, welche überproportional Kursbewegungen der zugrundeliegenden Basiswerte abbilden. Vereinfacht gesagt kann man hier „Wetten“ auf das Fallen, Steigen oder Gleichbleiben des Kurses abschließen, wobei phänomenale Gewinne und Verluste erzielt werden können

[10] https://edition.cnn.com/2020/06/19/business/robinhood-suicide-alex-kearns/index.html

[11] Fundamentals sind die Fundamentalwerte einer Firma, wie Beispielsweise die Bilanz, Umsätze, ein gutes Management und stabiles Wachstum

[12] Momentum Investing ist das gezielte Anlegen in Wertpapiere mit einem starken Kursanstieg. Die Hoffnung ist, dass dieser Anstieg weitergeht, oder man es schafft auszusteigen bevor sich der Trend umdreht und einem zum Verhängnis wird. Die eigentlichen Umsätze, Gewinne und Entwicklung der Firma ist hierbei irrelevant

[13] FOMO ist die Angst, eine Chance zu verpassen. Ein prominentes Beispiel war die Begeisterung von Kryptowährungen wie Bitcoin. Ende 2017 kauften viele Leute sich Kryptowährung, um am scheinbar unaufhaltsamen Wertzuwachs teilzunehmen. Im Laufe eines Jahres sank der Wert wieder auf 1/5

[14] Initial Public Offering, d.h. der Börsengang eines Unternehmens

[15] Als Unicorn werden in der Finanzwelt Startups mit einem Marktwert von über einer Milliarde US Dollar vor dem Börsengang bezeichnet

[16] https://finance.yahoo.com/quote/SNOW?p=SNOW&.tsrc=fin-srch

[17] CF, oder Cashflow, ist vereinfacht gesagt die Gegenüberstellung von Geldeingang und Geldausgang über einen Zeitraum, und damit eine Kennzahl für die Liquidität und finanzielle Gesundheit einer Firma

[18] https://www.barrons.com/articles/snowflake-jfrog-and-unity-ipos-soared-this-week-its-now-growth-at-any-cost-51600466691?siteid=yhoof2&yptr=yahoo

[19] Rechnerischer Gesamtwert der Anteile (Aktien) eines börsengehandelten Unternehmens

[20] Aktiv gemanagte Fonds wählen gezielt bestimmte Börsentitel aus, um eine überdurchschnittliche Rendite zu erzielen. 10% der Aktiv gemanagten Fonds schaffen dies, die anderen 90% performen schlechter als der Marktdurchschnitt

[21] https://www.barrons.com/articles/snowflake-jfrog-and-unity-ipos-soared-this-week-its-now-growth-at-any-cost-51600466691?siteid=yhoof2&yptr=yahoo

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